Pflegeverweigerung

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Pflegeverweigerung ist der Inhalt des 33. Blogs. Es werden einleitend die zentralen Problembereiche erläutert.

Die Pflegeverweigerung oder die Ablehnung der Pflege ist in der Demenzpflege bedauerlicherweise ein recht häufiges Phänomen (Lind 2007: 119ff,Lind 20011: 169ff,Sachweh 2008: 210ff, siehe Blog 26). Bedauerlicherweise deshalb, weil hierbei alle Betroffenen hierunter zu leiden haben. Die Demenzkranken, weil sie die für sie notwendigen Pflegeleistungen nicht erhalten können. Mit der Konsequenz, dass sich ihr schon extrem beeinträchtigter Allgemeinzustand hierdurch noch weiter verschlechtern kann. Man denke hierbei u. a. nur an die Hautpflege, die Dekubitusprophylaxe und die lebenserhaltende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Bedauerlicherweise auch für die Pflegenden, die die konkrete Pflegeverweigerung als einen persönlichen Misserfolg empfinden. Sie werden nach mehrmaligem Erleben des Ablehnungsverhaltens möglicherweise derart verunsichert, dass sie an ihre berufliche Kompetenz zu zweifeln beginnen. Verzagtheit, Vermeidungs- und Rückzugsverhalten im Umgang mit Demenzkranken sind dann oft die Folge, wie Studien belegen (Zeller et al. 2013). Erschwerend kommt hinzu, dass das Ablehnungsverhalten oft mit verbaler und tätlicher Aggression seitens der Demenzkranken verbunden ist (siehe Blog 19).

Neben der Pflegeverweigerung ist in der Demenzpflege oft noch der Sachverhalt einer deutlichen Pflegeerschwernis festzustellen. Diese Pflegebelastung zeigt sich u. a. in Unterbrechungen des Pflegeprozesses durch die Demenzkranken. Sie werden unruhig, aggressiv und verweigern das weitere Mitwirken an den konkreten Handlungen. Oder sie wenden sich demonstrativ ab oder ziehen sich zurück bzw. laufen weg. All dieses ist in der Regel mit einem hohen Belastungs- und Stressniveau für alle Beteiligten verbunden. Für die Demenzkranken kommt noch erschwerend der Umstand hinzu, dass situative Überforderungen wahnhaften Verkennungen verursachen (siehe Blog 19).

In den vorhergehende Blogelementen (Blog 26 – 32) wurden Konzepte und Strategien anhand von Beispielen erläutert, die wirksam zur Pflegeermöglichung und auch zur Pflegeerleichterung beitragen können. Konditionierung, biografische Stetigkeit und eine Vielzahl an positiven Beeinflussungs- und Lenkungsformen im Vorfeld und während der Pflegehandlungen weisen auf den Tatbestand hin, dass ein wirksames Regelwerk oder Verhaltensmuster einer Demenzpflege in Ansätzen und Teilelementen bereits existiert. Es wird jeden Tag im ambulanten und stationären Bereich von beruflich Pflegenden und auch von pflegenden Angehörigen im häuslichen Bereich praktiziert. Es gilt nur noch, das Erfahrungswissen der praktischen Demenzpflege begrifflich und inhaltlich zu systematisieren, damit es zweierlei Aufgaben zu bewältigen vermag: einerseits alle praktischen Handlungen der Demenzpflege in einem theoretischen Rahmen begrifflich zu erfassen und zu klassifizieren und andererseits mittels dieses theoretischen Konzepts sowohl das Verhalten der Demenzkranken als auch das Handeln der Pflegenden von den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen her im Sinne einer Theorie-Praxis-Verflechtung ableiten und erklären zu können.

In den folgenden Blogelementen werden verschiedene Problembereiche der Demenzpflege beschrieben und erläutert, die in die Rubrik Pflegeverweigerung, Pflegeablehnung und Pflegeerschwernis fallen. Die Inhalte ergänzen Themenbereiche, die teils bereits in den bisherigen Blogelementen unter anderen Aspekten erläutert wurden. Im Folgenden werden zur Einführung die Themenschwerpunkte einleitend unter dem Gesichtspunkt Pflegeverweigerung bzw. Pflegeerschwernis dargestellt.

Krankheitsbezogene Gründe

In den bisherigen Blogelementen wurde an verschiedenen Stellen die wachsende Entfremdung der Demenzkranken von den äußeren und auch inneren Reizgefügen anhand von Beispielen aufgezeigt. Im fortgeschrittenen Stadium zerbröselt nicht nur Schritt für Schritt die Person-Umwelt-Passung, indem bisher Vertrautes fremd und nicht mehr erkennbar erscheint (siehe Wahrnehmungsstörungen Blog 1 – 6). Es löst sich auch zunehmend die Person-Innenwelt-Passung auf, wenn die Innen- oder Binnenreize (Erinnerungen, Träume u. a.) nicht mehr bewältigt werden können und zu Realitätsverlusten und Realitätsverzerrungen führen (siehe Blog 7 – 12).

Diese massiven Verluste an körperlichen und geistigen Fähigkeiten verbunden mit dem oft überfordernden Erleben und Verarbeiten dieser Defizite und Minderleistungen wirken sich deutlich auf die situativen Gegebenheiten bei den Pflegehandlungen aus. Pflegeverweigerung und auch die Pflegeerschwernis sind somit Symptome und Auswirkungen einer neurodegenerativen Erkrankung. Die für diesen beschwerlichen Leidensprozess erforderlichen Umgangsformen in der konkreten Körper- und Grundpflege werden ergänzend zu den bereits beschriebenen Vorgehensweisen im folgenden Blogelement erläutert.

Mitarbeiterbezogene Gründe

Die Pflege ist das Zusammenwirken von mindestens zwei Personen, der Pflegenden und der zu Pflegenden. Die Erschwernis der Pflege und auch die Pflegeverweigerung werden zwar überwiegend durch die vielen demenztypischen Krankheitssymptome in Gestalt von geistigen Fehl- und Minderleistungen verursacht. Doch auch die Pflegenden selbst können durch ihr Verhalten, ihre Wesensart und ihr Belastungsniveau gravierend mit dazu beitragen, dass ein konfliktarmes Miteinander bei den Pflegehandlungen nicht gelingen kann. So weisen Erfahrungen in der Demenzpflege darauf hin, dass auch Pflegende Pflegeverweigerung verursachen. Mehrere Faktoren sind diesbezüglich ermittelt worden, die im Einzelnen mitsamt den damit verbundenen Organisations- und Lösungsansätzen in weiteren Blogelementen aufgeführt werden.

Arbeits- und Milieubezogene Gründe

Pflegeverweigerung und auch Pflegeerschwernis wird sehr häufig auch durch die Gesamtheit aller Reizkonstellationen im Heim verursacht. Begrifflich lässt sich das als ein alle Bereiche durchdringendes Belastungsempfinden beschreiben. Das Spektrum reicht hierbei von spürbarer Ruhe und Gelassenheit bis hin zu Zuständen von häufigem Stresserleben bei den Bewohnern und auch bei den Mitarbeitern. Diese Reizkonstellation zeigt sich in der Arbeitsorganisation und in den Arbeitsbedingungen, es zeigt sich im Verhalten der Mitarbeiter und besonders auch im Verhalten der Bewohner.

Es lassen sich in diesem Zusammenhang eine Reihe von Faktoren aufführen, die zur Erschwernis der Pflege führen. Sie reichen von den Leitlinien der Einrichtungen, den dahinterliegenden Strategien der wachsenden Ökonomisierung, über Aspekte des Personaleinsatzes gemäß diesen Markterfordernissen, bis hin zu Fragen der Belegung (Vermeidung von „Leerstand“ zulasten der Homogenisierung der Bewohnerschaft). All diese Wirkkräfte bestimmen direkt und indirekt die Demenzwelt und damit die Demenzweltgestaltung in allen Einrichtungen in teils unterschiedlicher Gewichtung. Das Ausmaß der Pflegeverweigerung und Pflegeerschwernis lässt sich somit auch mittels dieser gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen erklären. Denn auch die Demenzpflege ist kein bloßes Abstraktum, sondern nur ein konkreter und integrierter Teil dieses gesellschaftlichen Gefüges.

Konsequenzen für die Praxis

Pflegeverweigerung und auch die Erschwernis der Pflege in der stationären und vielleicht auch ambulanten Demenzpflege ist das Produkt mehrerer Wirkmechanismen: das Verhalten der Demenzkranken (Krankheitssymptome), die Pflegenden und die institutionellen Rahmenbedingungen. Da die Erkrankten die unabhängige Variable in diesem Verflechtungsgefüge sind, da sie sich nicht mehr an äußere und innere Reizgefüge situationsgerecht anpassen können (siehe Blog 26), gilt es die abhängigen Variablen, die Pflegenden und die Rahmenbedingungen hinsichtlich ihrer modifizierbaren Potentiale genauer zu analysieren.

Literatur

  • Lind, S. (2007) Demenzkranke Menschen pflegen, Bern: Verlag Hans Huber
  • Lind, S. (2011) Fortbildungsprogramm Demenzpflege, Bern: Verlag Hans Huber
  • Sachweh, S. (2008) Spurenlesen im Sprachdschungel. Kommunikation und Verständigung mit demenzkranken Menschen. Bern: Verlag Hans Huber.
  • Zeller, A. et al. (2013) Erfahrungen und Umgang der Pflegenden mit aggressivem Verhalten von Bewohner(inne)n: eine deskriptive Querschnittstudie in Schweizer Pflegeheimen. Pflege: 26 (5): 321 – 335

Leserinnen und Leser dieses Blogs werden um eine Kommentierung gebeten (siehe unten). Liegen seitens der Leserschaft weiterführende Wissensstände zu dieser Thematik vor, wird um eine Benachrichtigung per E-Mail gebeten (Kontaktformular). Sollten zu einem späteren Zeitpunkt Publikationen über diese Themenstellung erscheinen, werden diese Personen auf Wunsch hierbei namentlich als Mitwirkende genannt werden.

Ein Gedanke zu “Pflegeverweigerung”

  1. Die Informationen dieses Blogs kommen genau im richtigen Moment. Ich stehe vor eben dieser Aufgabe, meine Mutter bestmöglich zu versorgen und ihre Verweigerung mit Vertrauen zu durchbrechen. Danke für diesen Beitrag, der mir aus wissenschaftlicher Sicht etwas mehr Klarheit verschafft.

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