Vorarbeiten für die Entwicklung einer Theorie der Demenzpflege (Teil 8)

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Vorarbeiten für die Entwicklung einer Theorie der Demenzpflege (Teil 8) sind der Inhalt des 126. Blogs. Es wird der Problembereich Werkzeugkastenmodell bezüglich des intuitiven Verhaltens dargestellt.

Problembereich 11 – das Werkzeugkastenmodell

In Blog 67 wird gezeigt, dass das intuitive Verhalten tagtäglich in der Demenzpflege weltweit praktiziert wird und für einschlägige Experten darüber hinaus als ein Gütekriterium angesehen wird (Beach et al. 1999, Büssing et al. 2000, Hellner et al. 1994). Es fragt sich dann, warum dieses wesentliche Verhaltenssegment der Demenzpflege hier noch einmal zusammenfassend dargestellt wird. Der Grund hierfür liegt u. a. in dem Sachverhalt, dass diese intuitiven Umgangsformen in der Demenzpflege in bestimmten Fachkreisen nicht die angemessene Berücksichtigung finden. Im Gegenteil, intuitives Verhalten wird teilweise sogar mit einem Makel belegt. Erklärt werden kann diese Sachlage teils mit dem „Werkzeugkastenmodell“.

Das „Werkzeugkastenmodell“ beruht auf der Einschätzung, dass eine angemessene Pflege und Betreuung Demenzkranker nur dann gelingen kann, wenn die Pflegenden und Betreuenden sich ein möglichst umfassendes Wissen über die gängigen Beeinflussungsstrategien (u. a. Validation, Mäeutik, Kitwood-Ansatz, basale Stimulation) angeeignet haben. Kompetenz und damit Professionalität wird demnach mit der Anwendung dieser Vorgehensweisen gleichgesetzt. Und das hat zur Folge, sich ständig neue Konzepte durch Fortbildung anzueignen (Brinker- Meyendriesch et al. 2011). Angeborene Verhaltensweisen wie das universelle und damit auch intuitive Verhalten, die man in diesem Zusammenhang als „inneren oder angeborenen Werkzeugkasten“ bezeichnen könnte, besitzen bei den Vertretern dieser Denkweisen keinen Stellenwert (Hamborg et al. 2003, Hindrichs et al. 2017). Allenfalls werden sie als bloße „Tricksereien“ und „Notbehelfe“ ohne professionelle Wertigkeit zur Kenntnis genommen.

Intuitives Verhalten

In Blog 67 wird des Weiteren der Stellenwert des intuitiven Verhaltens Pflegender im Umgang mit Demenzkranken dargestellt, der bereits in vielen Blogelementen belegt wurde. Beispiele hierfür sind die folgenden Umgangs- und Beeinflussungsmodalitäten:

  • Beruhigungsstrategien (Blog 2 und Blog 8)
  • Ablenkungsstrategien des „Mitmachens und Mitgehens“ (Blog 11 und Blog 14)
  • Stadienbezogene Umgangsformen (Blog 16 und Blog 20)
  • Kleinkindähnliche Beruhigungs- und Ablenkungsformen (Blog 18)
  • Löschungsstrategien bei beeinflussbaren Desorientierungsphänomenen (Blog 8)
  • Löschungsstrategien bei wahnhaften Halluzinationen (Blog 9)
  • Strategien zur Pflegeermöglichung (Blog 13)
  • Konzepte zur Vermeidung der Pflegeverweigerung (Blog 35)

Bei diesen Strategien und Umgangsformen vorwiegend der Beruhigung und Ablenkung handelt es sich um universelle Vorgehensweisen, die auch im alltäglichen Leben außerhalb der Demenzpflege überwiegend spontan praktiziert werden. Es sind Kommunikationsformen, die meist der zwischenmenschlichen Stabilisierung und Harmonisierung dienen. Durch diese meist unbewusst praktizierten Umgangsformen werden die Kontakte und Beziehungen in allen Lebenssituationen vereinfacht und erleichtert. Da diese angeborenen Verhaltensweisen in allen Kulturen und Gesellschaftsformen anzutreffen sind, werden sie als universell bezeichnet.

Folgende universellen Verhaltensmuster des zwischenmenschlichen Umganges kommen bei der Pflege und Betreuung Demenzkranker u. a. zur Anwendung: beruhigen, ablenken, bestärken und bestätigen, Perspektiven geben und Komplimente machen.

Der universelle Charakter zeigt sich auch darin, dass Demenzkranke für diese Formen der Kommunikation sehr empfänglich sind. Sie sind somit im fortgeschrittenen Stadium für diese Kommunikationsformen und Umgangsstile aufgeschlossen. Das heißt u. a., sie verstehen diese Impulse und können darauf noch angemessen reagieren. Der universelle Charakter dieser Umgangsformen zeigt sich auch darin, dass sie alltägliche und globale Praxis der Demenzpflege sind (James 2011: 187, Lind 2011: 81).

Im Folgenden wird auf die neurowissenschaftliche Erklärung des intuitiven Verhaltens in Bereichen der Demenzpflege eingegangen.

Neurowissenschaftliche Erklärung der Intuition

Wie bereits angeführt, handelt es sich bei den von Pflegenden praktizierten Umgangs- und Beeinflussungsformen in bestimmten Situationen um intuitives Verhalten. Gemäß Definition des Dudens wird Intuition als unmittelbares, nicht auf Überlegung beruhendes Erkennen und Erfassen eines Sachverhaltes verstanden. Intuition bedeutet auch Eingebung oder plötzlich ahnendes Erfassen (spontan, instinktiv, „aus dem Bauch heraus“) einer bestimmten Gegebenheit.

Erkenntnisse der Neurowissenschaften besagen, dass die an der Verarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen beteiligten Hirnregionen Bereiche des Kleinhirns und des Mandelkerns (Amygdala, limbisches System) sind. Dies sind entwicklungsgeschichtlich ältere Regionen des Gehirns im Vergleich zu den recht „jungen“ Großhirnarealen.

In diesem Zusammenhang kann von einem „sozialen Gehirn“ gesprochen werden. Daraus lässt sich ableiten, dass viele Aspekte des menschlichen Sozialverhaltens auf Veranlagungen, also angeborenen Verhaltensmustern beruhen (Lind 2007: 130f).

Untersuchungen und auch Erfahrungsberichte im Bereich der Pflege und Betreuung Demenzkranker haben immer wieder diese auf Intuition basierenden und damit unbewussten Verhaltensweisen bei den Pflegenden gezeigt. Erklärt werden kann dieser Sachverhalt u. a. damit, dass bei dem Anblick von hilflosen und schutzbedürftigen Menschen (z. B. Demenzkranken und Kleinkindern) bestimmte angeborene Verhaltensprogramme, die man als Bestandteile unseres sozialen Gehirns bezeichnen kann, quasi unbewusst aktiviert werden (Lind 2007: 25).

Literatur

  • Beach, D. L. et al. (1999) Communicating with the Alzheimer’s resident: perceptions of care provider in a residental facility. Journal of Gerontological Social Work, 32 (3): 5–26
  • Brinker-Meyendriesch, E. et al. (2011) Leben und Lernen im Modellheim Haus Schwansen. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag, 2011
  • Büssing, A. et al. (2000) Intuition als implizites Wissen. Bereicherung oder Gefahr für die Krankenpflege? Pflege, 13: 291–296
  • Hamborg, M. et al.(2003) Gewaltvermeidung in der Pflege Demenzkranker. Modelle für alle Fälle. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
  • Hellner, B. M. et al. (1994) Intuiton: two caregivers’ descpriptions of how they provide severely demented patients with loving care. International Journal of Aging and Human Development, 38 (4): 327–338
  • Hindrichs, S. et al. (2017) Kognition/Kommunikation und Verhaltensweisen. PSG II, Expertenstandard und Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Praxis anwenden. Hannover: Vincentz Verlag
  • James, I. A. (2011) Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz, Bern: Verlag Hans Huber
  • Lind, S. (2007) Demenzkranke Menschen pflegen, Bern: Verlag Hans Huber
  • Lind, S. (2011) Fortbildungsprogramm Demenzpflege, Bern: Verlag Hans Huber

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